Am Morgen des 8. Mai 1945 überschritt die Rote Armee die Grenze im Erzgebirge und besetze bis zum Abend ganz Nordböhmen. Andere Formationen fuhren weiter nach Prag. Der sowjetische Einmarsch in die Hauptstadt der Tschechoslowakei hatte politische Priorität. Die sowjetischen Soldaten kamen als Befreier. Doch wie Stalin sagte: „Derjenige der Land besetzt, wird ihm auch sein eigenes politisches System aufprägen.“
Für die weitere Entwicklung der Tschechoslowakischen Republik war auch maßgebend und durchaus symbolisch, dass die Mitglieder der neuen Regierung und der Präsident im Exil, Edvard Beneš, nicht aus London, sondern aus Moskau zurückgekehrt waren. Der „Vertrag über Freundschaft, gegenseitige Hilfe und Nachkriegszusammenarbeit“ mit der Sowjetunion vom 12. Dezember 1943 sollte die Garantie dafür liefern, dass sich ein „München“ nie mehr wiederholt. Die Enttäuschung über die ehemaligen Verbündeten Frankreich und Großbritannien war groß in der Bevölkerung und ihren politischen Vertretern.
Eines der Hauptziele der neuen Regierung war die Durchführung der Vertreibung (odsun, transfer) der einheimischen deutschen und ungarischen Bevölkerung und die Errichtung eines Nationalsstaats der Tschechen und Slowaken. In dieser Frage waren sich die Parteien der „Nationalen Front“ bei der Proklamierung des Kaschauer Programms einig. Es wurde aber noch nicht verkündet, da die offizielle Zustimmung der westlichen Verbündeten bisher fehlte. Trotzdem traf man umgehend alle organisatorischen und psychologischen Vorkehrungen dafür.
Mit der Sicherung der Grenzgebiete wurde am 11. Mai 1945 die Kommandantur „Alex“ der tschechoslowakische Armee beauftragt, die schon während des Prager Aufstandes gegründet worden war. Diese gab am 15. Mai den Befehl für die „militärische Besetzung des Sudetenlandes“ und zur „Säuberung“ dieser Gebiete. In einem Zusatz zu diesem Befehl erschien folgender Aufruf: „Verweist alle Deutschen aus dem Gebiet unserer historischen Grenzen. Zur Aufrechterhaltung der Funktionen der landwirtschaftlichen und industriellen Betriebe soll die erforderliche Zahl der Arbeiter und Angestellten bleiben, jedoch als Fremdarbeiter und ohne jegliche bürgerliche Rechten.“ Ende Mai wurde die Kommandantur „Alex“ aufgelöst und die Armee neu strukturiert. Für Nordböhmen (Abschnitt VO1) wurde als Kommandant General Karel Klapálek eingesetzt.
Quelle: Operationsbefehl Nr. 128, Millitärisches Zentralarchiv VÚA-VHA, f. VO1, kart. 2
In dieser Zeit der Wehrbereitschaft war die Armee nicht die einzige, aber die stärkste und am besten funktionierende Sicherheitskraft im Grenzgebiet. Der Militärische Nachrichtendienst (OBZ) unter Oberleutnant Bedřich Reicin hatte nicht nur außerordentliche Machtbefugnisse, er fungierte auch als verlängerter Arm des sowjetischen Geheimdienstes NKWD und war selbst überwiegend mit Kommunisten besetzt.
Während des Prager Aufstandes und nach der Befreiung der Hauptstadt waren Revolutionsstaffeln aufgestellt worden, sogenannte „Revolutionsgarden“. Diese wurden teilweise direkt aus Prag durch Befehle der neu errichteten Zentrale für die Koordinierung der Sicherheit gelenkt. Die Revolutionsgarden waren sehr undiszipliniert und begingen zahlreiche Besitzdelikte. In der Bevölkerung wurden sie deshalb „Räubergarden“ genannt. Sie nahmen auch willkürliche Erschießungen von Deutschen vor, allerdings – soweit bekannt – keine Exekutionen im großen Stil.
Die Bemühungen um die Kontrolle des Grenzgebietes mündeten in die Gründung eines „Korps der nationalen Sicherheit“ (SNB), in das bevorzugt ehemalige Revolutionsgardisten und Partisanen aufgenommen wurden. Der Anteil an politisch zuverlässigen Kommunisten war auch hier sehr hoch. Obwohl es anfangs durchaus auch nicht-kommunistische SNB-Kommandanten gab, hatten sozialdemokratische oder „bürgerliche“ Politiker auf die Bildung dieser bewaffneten Formationen nur einen geringen Einfluss. Verteidigungsminister Ludvík Svoboda, der ehemalige Kriegsheld, trat erst im Februar 1948 in die KP ein, aber das Innenministerium war von Anfang an fest in kommunistischer Hand.
In der Armee, die Nordböhmen besetzte, waren Frontkämpfer stark vertreten, die zuvor in der Sowjetunion und auf slowakischem Boden Zeugen deutscher Gräueltaten geworden waren. Diese Erlebnisse haben sie teilweise stark traumatisiert, und entsprechend muss man ihr Verhalten beurteilen. Das gilt auch für die Angehörigen der „Roten Armee“, deren Soldaten größeren physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt waren, als etwa die US-Soldaten, und deren Versorgungslage ungleich schlechter war. Das führte zu vielen Übergriffen auf Eigentum und Frauen. Die Vergewaltigungen trafen auch viele Tschechinnen, da es die Rotarmisten meist nicht interessierte, welcher Nationalität ihre Opfer angehörten. Letztlich hing das Verhalten der Soldaten aber stark von der militärischen Disziplin und den Befehlen der Kommandeure ab.
Literatur: Adrian von Arburg/Tomáš Staněk: Dokumente aus tschechischen Archiven, Band II. 1: Die Aussiedlung der Deutschen und der Wandel des tschechischen Grenzgebiets 1945–1951. 2011
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