Postelberg | Postoloprty II.

Hans Jäckl aus Saaz, geboren 1928 in Komotau, ehemaliger Insasse des Lagers Postelberg (Foto: Privatarchiv)

Hans Jäckl, ehemaliger Insasse des Lagers Postelberg:

Am 4. Juni 1945 mussten wir aufstehen, unsere Oberkörper entkleiden und in Reihe antreten zum Abgeben der Schmuckstücke, der Ringe und der Uhren. Diese wurden in Tüten gesteckt und in Körbe geworfen. Wir mussten die Hände heben, damit kon­trolliert wurde, ob jemand eine Tätowierung* hat. Wer eine solche Tätowierung hatte oder wer sonst irgendwie aufgefallen ist, wurde in ein abgezäuntes Karree im Hof der Kaserne hineingetrieben. Ich sah dort die beiden Studienräte Dr. Enders und Dr. Herrmann. *Gemeint ist eine SS-Tätowierung o. ä.

Während der darauf folgenden Nacht ertönten Schreie und Schüsse. In der Morgendämmerung hörten wir dann einen Ruf, später wurde mir erklärt, das hätte „Všechno na své místo!“ geheißen, also: „Jeder auf seinen Platz!“. Dieses Kommando war eigentlich sinnlos, aber die Männer dort in der Mitte verstanden es als Kommando zum Aufstehen. Die Posten waren beunruhigt und schossen hinein. Es ertönten wieder Schreie und Flüche, aber das war noch in der Nacht. Am Morgen wurden dann die Toten und Verletzten herausgeschleppt und in die Schutzgräben am Rande des Kasernenhofes geworfen, und wer noch lebte, bekam noch einige Schüsse hinterher. Man kann sagen, dass in diesen Tagen generell jede Verwundung den Tod bedeutete; auch jeder Schwächeanfall. Mein Vater saß erstarrt neben mir. Ich rührte meinen Kopf nicht, um nicht aufzufallen. Es war eine bedrückende Stille in dem ganzen Hof. Plötzlich erhob sich ein Mann und rief, er sei Offizier gewesen und wolle als solcher behandelt werden. Er wurde vom Kommandanten des Hofes, den sie Marek nannten, an die Gräben geführt und von hinten erschossen.

Der Lagerkommandat in Postelberg Bohuslav Marek (zweiter von links) und seine jugendlichen Gehilfen (Foto: Privatarchiv Heimatkreis Saaz)

Am 3. oder 4. Tag, das weiß ich jetzt nicht mehr genau, hieß es, junge Männer sollen sich am Eingangstor melden. Ich vermutete, dass es zu einem Arbeitseinsatz ging, und wollte loslaufen. Aber mein Vater hielt mich zurück und sagte, „wenn ich hier nicht mehr herauskomme, übergebe ich Dir die Verantwortung für die Familie“. Und das hat mich irgendwie erschüttert. Aber dann gab er mir die Hand und ich lief los, kletterte auf den Lastwagen, der am Tor wartete, und wir wurden zum Flugplatz in Stankowitz gefahren. Dort mussten diese jungen Deutschen – es werden etwa 30 gewesen sein – die schweren Bomben, die im Gelände gelegen hatten, zusammenschleppen. Es gelang uns; es explodierte keine.

Zu Mittag gab es tatsächlich Suppe und ein Stück Brot, und wir mussten bis zum Abend weiterschleppen. Am Abend wurden wir mit dem Lastauto wieder in die Kaserne nach Postelberg zurückgefahren. Ich suchte meinen Vater am selben Platz, aber er war nicht mehr da. Danach ertönten Kommandos und wir wurden in die Kasernengebäude hineingetrieben, also in die Ställe und in die Gänge. Ich fand Platz an einem vergitterten Fenster und schaute hinaus. Ich sah, dass aus dem abgezäunten Karree die Männer herausgetrieben wurden. Sie mussten sich im Kasernenhof aufstellen, etwa acht oder zehn nebeneinander, die Arme einhängend und wartend. Um die Kolonne herum waren Tschechen mit Maschinenpistolen, also Soldaten. Sie stellten sich auf, und wenn ich mich recht erinnere, waren auch noch berittene Soldaten mit Maschinenpistolen um die ganze Gruppe herum. Über diese Reiter bin ich aber nicht ganz sicher.

 Als die Sonne versunken war, wurde das Kasernentor, das Hoftor geöffnet, und die Gruppe marschierte hinaus. Ich schätze, dass es etwa 800 Männer gewesen sein dürften. Vielleicht auch etwas mehr. Ich sah meinen Vater nicht, aber ich hatte wohl Grund anzunehmen, dass er unter diesen Männern war*. Dieses Erleben hat mich seelisch verändert. Ich habe jahrzehntelang darunter gelitten. Ich habe eigentlich von diesem Abend an auf dem Kasernenhof nichts mehr aufgenommen. Es mag noch mehr passiert sein, es ertönten weiter Schreie und Schüsse und Flüche, aber ich nahm nichts mehr auf, ich weiß nur, dass wir nach etwa einer Woche uns aufstellen mussten, aus der Kaserne herausgeführt wurden und sich die Marschkolonne wieder in Richtung Saaz in Bewegung setzte.

 Auf dem Marsch nach Saaz ging vor mir in der Reihe ein Mönch, ein ziemlich dicker Mönch. Er wurde von seinen Nachbarn gestützt, aber ich sah, dass er nicht mehr konnte. Schließlich trat er aus der Reihe hinaus und setzte sich an den Straßenrand. Ein Soldat trat hinter ihn und erschoss ihn. Er rollte in den Straßengraben und niemand kümmerte sich darum.“ *Hans Jäckels Vater war Gymnasialdirektor in Saaz und musste als Hiter-Gegner an die Ostfront; vermutlich wurde er erschossen, weil er sich als Soldat zu erkennen gab.

Das Haus der Kommandantur der OBZ im Sommer 1945 in Postelberg (Privatsammlung E. Vacek)

Das Ausmaß der sogenannten Säuberungsaktionen im Saazerland erregte die Aufmerksamkeit des Internationalen Roten Kreuzes. Zwei Jahre später kam es aufgrund einer Reihe von anonymen Anzeigen zur Intervention mehrerer nicht-kommunistischer Abgeordneter der Nationalen Volksversammlung der Tschechoslowakei. Anfang Juli 1947 wurde eine Kommission unter der Leitung von JUDr. Bohumír Bunža gebildet, der Mitglied des Sicherheitsausschusses der Verfassungsgebenden Volksversammlung (ÚNS) war. Am 30. und 31. Juli 1947 fand in den Räumen des Saazer Bezirksgerichts eine Untersuchung der Vorfälle in Saaz und Postelberg mit Verhören der Beteiligten statt. Es wurde daraufhin eine Exhumierung der Massengräber angeordnet, die vom 17. bis 27. September 1947 unter strenger Geheimhaltung duchgeführt wurde. In Anwesenheit von Mitgliedern des Innenministeriums, des Landeskommandos der SNB (Korps der Nationalen Sicherheit) in Prag, des Bezirksgerichts Brüx und von Spezialisten der Gerichtsmedizin konnten 763 Leichen geborgen werden. Die Mehrheit der exhumierten Körper wurde in den Krematorien Brüx, Karlsbad und Aussig verbrannt, und ein kleinerer Teil wurde in Loun beerdigt. Aber auch dieser fürchterliche Fund und das Eingeständnis, daß in Postelberg „tatsächlich Gräueltaten“ verübt wurden, führte nicht zur einer Bestrafung der Täter. Verteidigungs- und Innenministerium rechtfertigten die Taten als gerechte revolutionäre Vergeltung.

JUDr. B. Bunža, Vorsitzender des parlamentarischen Untersuchungsausschusses betreffend die Gewaltakte von 1945 (Foto: Privatarchiv)

Die Zahl der Opfer im Saazerland wird in einem anderen geheimen Untersuchungsprotokoll, diesmal der Kreisstelle des Staatssicheitsdienstes Brüx (Most) vom 13. August 1947, mit mindestens 1.200 Toten angegeben. Knapp vier Jahre später wurden im Vernehmungsprotokoll des Hauptmanns der Reserve Vasil Kiš vom 2. Mai 1951 weitere Erschießungen einer großen Zahl von Zivilisten und Kriegsgefangenen dokumentiert. Es bekam ebenfalls den Geheim-Stempel. Da die Exhumierungen 1947 vorzeitig abgebrochen worden sind, kann die tatsächliche Zahl der Opfer bis heute nicht genau beziffert werden.

Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses JUDr. B. Bunža wurde nach der Auflösung der Verfassungsgebenden Volksversammlung (ÚNS) am 6. Juni 1948 auf die Liste der Abgeordneten gesetzt, die inhaftiert werden sollten, weil sie der kommunistischen Machtdurchsetzung im Wege standen. Er konnte aber rechtzeitig emigrieren und wurde so nicht zu einem späten Opfer der kommunistischen Macht im Zusammenhang mit der Mordaktion in Postelberg. In Abwesenheit wurde er am 25. November 1948 in einem Schauprozess zum Tode verurteilt. Er verstarb am 27. November 1990 in New York. Erst 1992 wurde er gerichtlich rehabilitiert.

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