Nachwort Adrian von Arbug

 

Schweizer Historiker

Liebe Freunde vom Förderverein der Stadt Saaz, geschätzte Besucher dieser Ausstellung,

das blanke Grauen, die vielen Entbehrungen und existentiellen Grenzerfahrungen, die besonders das dunkle Jahrzehnt des europäischen Bürgerkriegs zwischen 1938 und 1948 für die damaligen Zeitgenossen mit sich brachte, sind für die Nachgeborenen kaum noch vorstellbar. Millionen von Menschen wurden damals gesellschaftlich an den Rand gedrängt, aufgrund ihrer Gesinnung, Religion oder ihres nationalen Bekenntnisses verfolgt, vertrieben oder kaltblütig ermordet. Es war eine Zeit, in der so mancher Politiker hohe Ziele hatte – die einen von schierem Wahnsinn und destruktiver Eroberungssucht getrieben, die anderen von einem gutgläubigen, aus heutiger Sicht reichlich naiv anmutenden Idealismus geleitet. Alle gingen Sie davon aus, dass es möglich sei, durch tiefgreifende Eingriffe in die langzeitig und organisch gewachsene Bevölkerungsstruktur in den von ihnen beherrschten Gebieten für sich und die „ihren“ innert kurzer Zeit positive revolutionäre Veränderungen herbeizuführen.

Das Ergebnis dieses im Katastrophenjahrzehnt von 1938 bis 1948 leider praktisch allseits geteilten Irrglaubens, man könne durch das Verdrängen und physische Liquidieren ganzer Bevölkerungsgruppen eine bessere Welt erschaffen, war jedoch, dass es auf allen Seiten am Ende nur Verlierer gab. Vielleicht nicht nur, aber gewiss viel zu viele.

Diese Ausstellung versucht primär, anhand von ausgewählten Beispielen das Schicksal der in den ersten Nachkriegsmonaten des Jahres 1945 in Nordböhmen lebenden Einwohner zu illustrieren. Viele von ihnen wurden verfolgt – und längst nicht alle, weil sie in den Vorjahren tatsächliche Schuld auf sich geladen hatten, sondern die meisten wohl nur deshalb, weil ihre Muttersprache zufälligerweise das Deutsche war. Es ist wichtig, wenn die Ausstellung auf weiteren Tafeln auch zeigt, dass das in sprachlicher und religiöser Hinsicht pluralistische Zusammenleben auf dem Gebiet der böhmischen Länder in der jahrhundertelangen Vergangenheit längst nicht immer konfliktbeladen, sondern während der Mehrheit der Zeit eher symbiotisch und für alle Einwohner dieses wunderschönen Landes gewinnbringend war. Ebenso essentiell sind die Hinweise darauf, dass es nicht die tschechoslowakische Staatsmacht war, die das Mittel der Zwangsmigration im grossen Stil als erste anwandte. Dies entschuldet vielleicht nichts, gehört aber dennoch in den Kontext.

Kann eine Ausstellung, die Gewalttaten dokumentiert, zur Versöhnung beitragen? Ja, gerade sie kann es. Denn Versöhnung bedingt, dass die heiklen Seiten der gemeinsamen Vergangenheit besonders offen und schonungslos behandelt werden. Machen wir aber nicht den Fehler, der für die bisherige Nachkriegszeit allzu prägend war: Rechnen wir nicht Unrecht mit anderem Unrecht gegeneinander auf, zeigen wir nicht mit dem Finger nur auf die Fehler der anderen, fühlen wir nicht nur Schmerz und Empathie für uns selbst und die unsrigen.

Ich sage es deshalb nochmals: Jene Zeit, sie brachte viel zu viele Verlierer. Was wir brauchen, ist Empathie für alle. Für alle, welche von der damaligen Zeit dauerhaft verletzt wurden. Hören wir auf, uns als Angehörige von nationalen Lagern zu betrachten und uns im vermeintlich sicheren Schutz der von unzulässig retuschierten Bildern und vor intoleranter Ideologisierung nur so strotzenden Schützengräben zu verschanzen. Was wir brauchen, bitter sogar, ist ein gemeinsames Erinnern ohne Scheuklappen, eine Blickerweiterung, die uns auch den Wahrnehmungshorizont und das Schicksal der einstigen nationalen Kontrahenten sehen lässt.

Nur so – durch eine nähere Vertrautheit mit der komplexer als geglaubt erscheinenden Wirklichkeit, durch das Fallenlassen von allzu bequemen Stereotypen und das dadurch mit der Zeit ganz von selbst erwachsende Bewusstsein für gemeinsame Verluste und zueinander kompatiblen Interpretationen der Vergangenheit – nur so ist eine dauerhafte Versöhnung möglich.

In diesem Sinne wünsche ich dieser Ausstellung viele geneigte Besucher!

Herzlich Ihr