Die Neubesiedlung von Nordböhmen

Miroslav Kreysa (Nationalarchiv Prag)

 

„Das Grenzgebiet ist die Vorhut zum Sozialismus“, lautete auf parteiinternen Kaderversammlung der tschechischen Kommunisten die zu vernehmende Losung. Sie stammte sozusagen von den Anführern der „Vorhut“ selbst, nämlich von dem Vorsteher der Planungsabteilung des zentralen Siedlungsamtes für die böhmischen Länder, Karel Janů, und von seinem damals gerade erst 31-jährigen Chef, Miroslav Kreysa.

Soweit bekannt, verfügten bei Kriegsende unter den zugelassenen vier tschechischen Parteien allein die Kommunisten über relativ schlüssige Vorstellungen, nach welchen Gesichtspunkten die zur Aussiedlung der Deutschen parallel verlaufende „Landnahme“ in den Grenzgebieten verlaufen sollte. Entsprechende Planungen waren sowohl im Moskauer Exil als auch im einheimischen Widerstand unternommen worden. Im zweiten Fall beteiligten sich daran auch linksgerichtete Nicht-Kommunisten. Am weitesten fortgeschritten waren Anfang Mai 1945 die Pläne über die Bodenreform, die in ihrer ersten Phase faktisch auf die Konfiskation des deutschen Grundbesitzes und dessen Übertragung an die Neusiedler und den Staat hinauslief.

„Kommt mit uns das Grenzgebiet aufbauen“, Propagandaplakat von 1946 (Foto: Privatarchiv Gröger)

Spätestens seit dem 11. Juli 1945 wirkte – zuerst noch als Unterausschuss der Nationalökonomischen Kommission – beim ZK der KSČ eine eigene „Besiedlungskommission“ (Osidlovací komise, OK, auch „Kommission für Besiedlungsfragen“ genannt). Bis zu ihrer Auflösung im Januar 1949 stand die Kommission unter der Leitung von Stabskapitän Bedřich Steiner, einem Angehörigen der Svoboda-Armee. Der um nur zwei Jahre als Kreysa ältere Steiner (Jahrgang 1913) galt zwar formal lediglich als Sekretär der ZK-Abteilung, in der Parteizentrale war er aber in Wirklichkeit der im Bereich der Siedlungs- und Deutschenpolitik tonangebende Mann.

Frühzeitig und mit großem Elan machen sich Gottwalds Genossen an die Arbeit, die mit ihrer kommunistischen Führungsschicht zu jener Zeit gewiss zu den taktisch am meisten begabten in Europa gehörten, nicht nur in organisatorischer, sondern auch in programmatischer Hinsicht. Wie die ZK-Besiedlungskommission Ende Februar 1946 rückblickend feststellen konnte, wurden sämtliche Vorlagen der Kommunisten vom Ausschuss erarbeitet und der Regierung zur Verabschiedung übergeben. Noch aussagekräftiger für den fehlenden Initiativgeist der nicht-kommunistischen Parteien mag aber sein, dass diese selbst – zumindest bis Ende Februar 1946, als die Leitlinien der Siedlungspolitik allerdings schon feststanden – angeblich keinen einzigen selbstständigen Vorschlag im Siedlungsbereich eingereicht hatten.

Das Grenzgebiet wurde zur Domäne der Kommunistischen Partei. Die Kommunisten besaßen im Bereich der Siedlungspolitik und der Verwaltung des konfiszierten Vermögens verdientermaßen eine Hegemonialstellung, was zu großen Teilen ihrem unermüdlichen Initiativgeist und ihrem feinen Gespür für die wirklichen tagesaktuellen Bedürfnisse der dominierenden „Neusiedlerschicht“ zu verdanken war. Auf den Punkt brachte das kommunistische Selbstverständnis des Grenzgebiets ein für Referate im Terrain gedachter Kurzslogan: „Kalifornien, nicht Klondike!“ (In der Gegend des Klondike-Flusses im Nordosten Kanadas – Yukon Territory – lösten im Jahre 1897 Goldfunde einen sprichwörtlichen „Goldrausch“ unter den vielen herbeigeeilten Goldgräbern aus).

Informationsminister und KSČ-Chefideologe Václav Kopecký Anfang August 1946 die erste, allein den neuen Realitäten in den Sudetengebieten gewidmete Ausstellung in Reichenberg (Liberec) eröffnete, ging er davon aus, dass die Ausstellung zeigen solle, „wie die tschechischen Hände imstande sind, aus dem Grenzgebiet ein Paradiesgebiet zu machen“.

Miroslav Kreysa schob nach dem „Siegreichen Februar“ die Kolonie-Absichten, die am Anfang auch aus den Reihen seiner eigenen Partei zu hören waren, der inzwischen politisch kaltgestellten „Reaktion“, sprich den Nationalen Sozialisten und Volksparteilern, in die Schuhe. Die volksdemokratische Siedlungspolitik unterscheide sich gerade darin von der Kolonialpolitik imperialistischer Staaten, dass man hier nicht den tschechischen Magnaten ermögliche, „die Rolle der früheren deutschen Kapitalisten“ zu übernehmen. „Wir sind deshalb in das Grenzgebiet gegangen, um die Deutschen zu beseitigen und mit ihnen das ganze Ausbeutungssystem in diesem Gebiet.“ Auf den Punkt brachte das Selbstverständnis der kommunistischen Grenzgebiets-Politik ein internes Programmpapier der ZK-Besiedlungskommission aus der zweiten Jahreshälfte 1946: „Wir bilden eine neue Struktur, was für uns Marxisten bedeutet, dass wir die Voraussetzungen des zukünftigen politischen, sozialen und kulturellen Überbaus schaffen.“

Da die Aussprache der Konfiskation ein reiner Verwaltungsakt der Nationalausschüsse (Verwaltungskommissionen) war und keiner vorhergehenden gerichtlichen Prüfung bedurfte, verfügten die „Volksorgane“ über einen sehr breiten Handlungsspielraum. Praktisch unbeschränkt war dieser im Fall des bislang deutschen Besitzes, da deren Eigentümer infolge der Aussiedlung nach Deutschland faktisch über keine echte Berufungsmöglichkeit verfügten.

Die besten Wünsche bei der Schaffung eines neuen Zuhauses“, Zeichnung von Josef Lada, herausgegeben vom Siedlungsamt und Fond der nationalen Erneuerung 1949 (Foto: Privatarchiv)

Die Logik war denkbar simpel: „Wir verteilen Besitz unter den breiten Massen des Volkes und wir müssen daher genauestens die politische Nutzbarmachung dieser Besitzverteilung durchdenken, damit sich die neuen Besitzerwerber unzweifelhaft verpflichtet fühlen und vor allem unserer Partei dankbar sind, dass ihnen Besitz zuteil wird.“ „Das Grenzgebiet ist eine große Reserve, eine formbare Masse, die zum Modellieren bereit steht“, fasste im Jahr 1945 der Visionär Miroslav Kreysa seine Beziehung zu dem von ihm über fünf Jahre lang wesentlich mitgeformten Territorium der böhmischen Länder zusammen. Aus heutiger Sicht wurde das Grenzgebiet indes zu einem Vorreiter im eher negativen Sinne – als Gebiet, das geprägt wurde von totalitären Herrschaftspraktiken, der Uniformierung von gesellschaftlichen Strukturen und nicht zuletzt einer rücksichtslosen Einstellung gegenüber der Umwelt und den Kulturgütern.

Nach: Adrian von Arburg Ph.D.: „Das Grenzgebiet als New Frontier? Kommunistische Strukturpolitik zwischen Aufbruch und Abbruch“ (Manuskript)

Informationsminister und KSČ-Chefideologe Václav Kopecký Anfang August 1946 die erste, allein den neuen Realitäten in den Sudetengebieten gewidmete Ausstellung in Reichenberg (Liberec) eröffnete, ging er davon aus, dass die Ausstellung zeigen solle, „wie die tschechischen Hände imstande sind, aus dem Grenzgebiet ein Paradiesgebiet zu machen“.

„Für eine bessere Zukunft“ Zeitung OB Janessen|Jenísov aus den fünziger Jahren (Foto: Privatarchiv)

Miroslav Kreysa schob nach dem „Siegreichen Februar“ die Kolonie-Absichten, die am Anfang auch aus den Reihen seiner eigenen Partei zu hören waren, der inzwischen politisch kaltgestellten „Reaktion“, sprich den Nationalen Sozialisten und Volksparteilern, in die Schuhe. Die volksdemokratische Siedlungspolitik unterscheide sich gerade darin von der Kolonialpolitik imperialistischer Staaten, dass man hier nicht den tschechischen Magnaten ermögliche, „die Rolle der früheren deutschen Kapitalisten“ zu übernehmen. „Wir sind deshalb in das Grenzgebiet gegangen, um die Deutschen zu beseitigen und mit ihnen das ganze Ausbeutungssystem in diesem Gebiet.“ Auf den Punkt brachte das Selbstverständnis der kommunistischen Grenzgebiets-Politik ein internes Programmpapier der ZK-Besiedlungskommission aus der zweiten Jahreshälfte 1946: „Wir bilden eine neue Struktur, was für uns Marxisten bedeutet, dass wir die Voraussetzungen des zukünftigen politischen, sozialen und kulturellen Überbaus schaffen.“

Da die Aussprache der Konfiskation ein reiner Verwaltungsakt der Nationalausschüsse (Verwaltungskommissionen) war und keiner vorhergehenden gerichtlichen Prüfung bedurfte, verfügten die „Volksorgane“ über einen sehr breiten Handlungsspielraum. Praktisch unbeschränkt war dieser im Fall des bislang deutschen Besitzes, da deren Eigentümer infolge der Aussiedlung nach Deutschland faktisch über keine echte Berufungsmöglichkeit verfügten.

Die Logik war denkbar simpel: „Wir verteilen Besitz unter den breiten Massen des Volkes und wir müssen daher genauestens die politische Nutzbarmachung dieser Besitzverteilung durchdenken, damit sich die neuen Besitzerwerber unzweifelhaft verpflichtet fühlen und vor allem unserer Partei dankbar sind, dass ihnen Besitz zuteil wird.“ „Das Grenzgebiet ist eine große Reserve, eine formbare Masse, die zum Modellieren bereit steht“, fasste im Jahr 1945 der Visionär Miroslav Kreysa seine Beziehung zu dem von ihm über fünf Jahre lang wesentlich mitgeformten Territorium der böhmischen Länder zusammen. Aus heutiger Sicht wurde das Grenzgebiet indes zu einem Vorreiter im eher negativen Sinne – als Gebiet, das geprägt wurde von totalitären Herrschaftspraktiken, der Uniformierung von gesellschaftlichen Strukturen und nicht zuletzt einer rücksichtslosen Einstellung gegenüber der Umwelt und den Kulturgütern.

„Kommunisten fahren in das Grenzland“ (Geschichte der Tschechoslowakei, Lehrbuch Orbis, Praha 1962)

Nach: Adrian von Arburg Ph.D.: „Das Grenzgebiet als New Frontier? Kommunistische Strukturpolitik zwischen Aufbruch und Abbruch“ (Manuskript)

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